Paul über mich
Die rote Schubkarre
so viel hängt ab von
einer roten Schubkarre
glänzend vom Regenwasser
bei den weißen Hühnern
Der amerikanische Landarzt William Carlos Williams, der diese Zeilen niederschrieb, ist Zeit seines Lebens nur selten über die Grenzen der Kleinstadt Rutherford / New Jersey hinausgekommen, gelebt hat er immer dort in der Ridge Road Nr. 5.
Neben seiner Tätigkeit als Arzt war Williams ein begnadeter Beobachter seiner kleinstädtischen Welt, einer Welt, die rapide im Wandel begriffen war. Hinterlassen hat er unter anderem zahlreiche Gedichte, Miniaturen, die oft Personen und Gegenständ seiner Erfahrungswelt thematisieren. Im Kleinen das Große widerspiegeln - nicht nur in der Biographie lässt sich eine Geistesverwandschaft zwischen Williams und Becker ausmachen.
Becker, 1954 geboren, kehrt dem kleinbürgerlich-ländlichen Umfeld seiner Heimat nur für die Jahre seines Studiums (Pädagogik und Kunst) den Rücken. Der Grundstein für sein künstlerisches Schaffen ist da (1977) längst gelegt: Zeichnungen in Blei und Kohle, fotografische Arbeiten und immer wieder Ausflüge in entlegene Gefilde, wie Comic-Art und Bildgeschichte lassen schon in den frühen Jahren auf eine gewisse Experimentierfreudigkeit schließen.
Nach dem Studium beginnt für den zertifizierten Diplompädagogen eine bewegende Berufszeit. Einsätze in sozialen Brennpunkten gesellschaftlichen Wirkens, bis er 1990 seine Tätigkeit in der Jugendhilfe antritt.
Die Herausforderungen des Sozialen finden in der Familie ihren Gegenpol: seine Heirat und die Geburt der beiden Kinder verschieben den Schwerpunkt in Beckers Leben in Richtung Familienmensch. Auch der Erwerb ausgedehnter Ländereien (der einmal mehr seinen bodenständigen Charakter unterstreicht) kann seine künstlerische Ader nicht unterdrücken. Jährlich entstehen so immer noch eine handvoll mittelgroßer Arbeiten in Acryl, die oft den Weg in den Freundeskreis finden. Die Motive sind hier gegenständlicher Art und entstehen mit Hilfe fotografischer Vorlagen.
Was nach Ostern 2008 einen wahren Schaffensrausch auslöst, wird wohl immer im Bereich des Spekulativen bleiben. Fast scheint es, als habe ein Thema seinen Künstler gefunden und nicht umgekehrt. Geradezu manisch malt Becker im Lauf von 9 Monaten 30 Variationen eines Grundthemas. Hat der Mann noch eine Arbeit? werden manche Kleingeister fragen, aber die kann ich beruhigen: er hat neben einem Beruf auch eine Berufung gefunden.
Oft wiederholt die Geschichte der Entstehung des ersten Bildes der Serie: nach einem Fest trägt Becker einen Heineken-Kronkorken tagelang in seiner Hosentasche herum. Schließlich legt er ihn auf einen Stapel vom Speicher geholter Zeitungen ab und beginnt zu zeichnen.
Zu glatt erscheint diese Geschichte, dass man sie als Kunstkenner glauben möchte. Aber da ist nun mal diese Faszination: der rote Stern auf grünem Grund, die kühn umlaufende weiße Schrift. Abgelegt auf vergilbten, längst historischen Zeitungsschlagzeilen oder Werbeinseraten. Kronkorken bilden die ersten Mittelpunkte der Serie.
Ja, neben Kronprinzen, den Kronjuwelen und dem Kronrat gibt es den Kronkorken, diesen auch in Zeiten der EU-Normierung diffizil gestalteten Werbeträger. Letztes Hindernis auf dem Weg zum Genuss, nur noch ein trockenes Zischen vor dem ersten prickelnden Schluck. Viel zu schade zum Wegwerfen eigentlich und dennoch ist der Kronkorken ein Wegwerfprodukt par excellence, das mit einem metallisch-blechernen Klimpern im gelben Sack verschwindet.
Bewahren und Vergehen; das sind die beiden Pole dieser Beckerschen Stilleben. Die alten Zeitungen sprechen nicht nur für ihre eigene Vergänglichkeit. "Who wants yesterday's papers?" sang schon Jagger in einem frühen Lied. Wer will schon Schlagzeilen von gestern? Kronkorken sammeln wir nicht einmal mehr für die Dritte Welt, die heute auch nicht mehr so heißen soll.
Vor dem Vergehen bewahren, das ist eine der edelsten Aufgaben der Kunst, an die Becker sein Künstlerherz gehängt hat. Wo der Künstler hier ansetzt, ist unser aller Herzland: das Königreich des Alltags, die Ästhetik des Gewöhnlichen, die subtilen Motive des Banalen.
Genug geredet: lassen wir die Bilder sprechen, auch wenn Bilder gar nicht sprechen können und das ist auch gut so!
(Aussschnitt aus einer Rede von Paul Sommer-Landt zu einer Ausstellungseröffnung im Jahre 2009)